Neue Regelungen zu Russland-Sanktionen – „No-Russia-Clause“
Kürzlich verabschiedete die EU ihr 14. Sanktionspaket gegen den russischen Staat. Vor diesem Hintergrund wurden die Sanktionsverordnungen gegen Russland und Belarus geändert. Vor allem auch erweitert. Die Änderungen sind vielfältig und betreffen vor allem auch Vertragsbeziehungen über die Ausfuhr von Gütern in Drittstaaten. So wurden z. B. 116 neue Listungen von Personen und Gütern vorgenommen sowie Maßnahmen in Bezug auf SPFS (Finanzmitteilungen) und LNG (Flüssiggas) beschlossen. Besonders wichtig für Unternehmen der IT- und Technologiebranchen sind die neuen Compliance-Regelungen. Viele Unternehmen nutzen bereits verpflichtend oder vorsorglich die sogenannte „No-Russia-Clause“. Welche Änderungen die EU diesbezüglich getroffen hat, und warum es angesichts des neuen Sanktionspakets auch sinnvoll sein kann, die „No-Russia-Clause“ zu nutzen, obwohl keine rechtlich normierte Pflicht besteht, erläutert der folgende Artikel.
Unter den folgenden Links, finden sich zum einen die aktuelle Fassung der Sanktionsverordnung gegen Russland und die Sanktionsverordnung gegen Belarus.
Was ist die „No-Russia-Clause“?
Die EU-Verordnung 833/2014 (im Folgenden nur: Russland-VO) enthält in ihrem Artikel 12g die Pflicht für Unternehmen, in ihren Verträgen über Verkauf, Lieferung, Verbringung oder die Ausfuhr von speziellen Gütern und Technologien in Drittländer eine sogenannte „No-Russia-Clause“ aufzunehmen. Diese Klausel soll dafür sorgen, dass Vertragspartner in Drittstaaten diese Güter nicht weiter nach Russland exportieren. Die EU bietet hierzu online ein Muster einer „No-Russia-Clause“ für Verträgen an. Da es sich um internationale Verträge handelt, wird zumeist die englische Version zur Anwendung kommen. Allerdings sind vor allem durch die IHKs diverse deutsche Übersetzungen im Umlauf.
Das Ziel der „No-Russia-Clausel“: die Wirtschaft zu verpflichten, ihre Handelsketten zu überprüfen. So soll verhindert werden, dass russische Institutionen das Sanktionspaket der EU durch die Einschaltung von Drittländern umgehen können. Es handelt sich bei der „No-Russia-Clause“ demnach nicht um ein reines Gentlemen Agreement. Stattdessen müssen die Klauseln entsprechende Sanktionen an den Handelspartner vorsehen. Dies bedeutet, dass im Falle eines Verstoßes Vertragsstrafen und/oder außerordentliche Kündigungsrechte der Handelsbeziehung greifen. Ferner sieht Art. 12g vor, dass bekannt gewordene Verstöße dem Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) zu melden sind.
Betroffen sind neben Feuerwaffen und Munition gemäß der Liste Anhang I der EU-Verordnung 258/201 die Güter und Technologien der Anhänge XI, XX, XXXV, XL der Russland-VO. Unternehmen sollten daher aufmerksam prüfen, ob sie Waren an Drittländer vertreiben, die unter diese Listen fallen. Die EU erweitert diese Listen regelmäßig. Daher sollten Unternehmen auch regelmäßig Kontrollen diesbezüglich vornehmen. Die für technologieaffine Unternehmen besonders relevante Liste XL (Schaltungen, Halbleiterbauelemente und elektrische Geräte) wurde zuletzt im Juni dieses Jahres erweitert!
Drittländer sind alle nicht EU-Länder. Ausnahmen von der Verpflichtung der „No-Russia-Clause“ gelten für bestimmte Staaten, mit denen der Handel entsprechend erleichtert ist. Hierzu gehören gemäß dem im Juni aktualisierten Anhang VIII der Russland-VO die USA, Japan, UK, Südkorea, Australien, Kanada, Neuseeland, Norwegen, Schweiz, Liechtenstein und Island. Letztere sind neu in die Liste aufgenommen worden. In Vertragsbeziehungen mit diesen Staaten bedarf es keiner Klausel. Über weitere bereichsspezifische Ausnahmen und Altverträge beraten wir Sie gerne im Einzelfall.
Achtung: Probleme der „No-Russia-Clause“ durch kollidierendes Zivilrecht?
Teils wird in der Praxis gestritten, ob die Musterformulierungen der EU überhaupt mit deutschem AGB-Recht vereinbar sind. Angegriffen werden hier vor allem die sanktionierenden Vertragsstrafen, die nach deutschem AGB-Recht nur in einer bestimmten Höhe möglich sind (v. a. 5%-Klausel). Ebenso die verschuldensunabhängige Vertragsstrafe. Hingewiesen wird auch auf das Problem, wenn sich die AGBs der Vertragspartner widersprechen. Hier müsste zuerst bestimmt werden, welche AGB für ein Rechtsgeschäft überhaupt Anwendung finden. Theoretisch ist es also möglich, dass die „No-Russia-Clause“ gar keine Wirkung entfaltet, sollte sie nach deutschem AGB-Recht unwirksam sein. Damit einher ginge ein Verstoß gegen Art. 12g der Russland-VO. Die Norm selbst gibt nämlich keine konkrete Klausel vor. Sie fordert lediglich „angemessene Maßnahmen“.
Rechtsprechung zur Thematik ist noch nicht ersichtlich. Als Lösung werden teils wenig überzeugende Ansätze vorgeschlagen. Eine Option wäre es, die „No-Russia-Clause“ nicht in die AGBs, sondern direkt in den ausverhandelten Vertragstext aufzunehmen. Ein anderer Vorschlag nimmt den Weg über die „Klausel nach Hamburger Brauch“. In diesem über die Rechtsprechung entwickelten Fall wird keine feste Vertragsstrafe vereinbart. Stattdessen arbeitet die Klausel mit einer „angemessene“ Vertragsstrafe, deren Höhe letztendlich vom konkreten Einzelfall abhängt. Allerdings nutzen die meisten Unternehmen Musterverträge. Ebenso wird ein Unternehmer wohl kaum einem Vertragspartner auf einem anderen Kontinent den „Hamburger Brauch“ erklären können.
Im Ergebnis wird man zu dieser allgemeinen Problematik die Rechtsprechung abwarten müssen. So lange erscheint es jedoch am sichersten, sich weitestgehend an der Musterklausel zu orientieren und diese ggf. an das spezifische Unternehmen anzupassen. So vermeiden Unternehmen jedenfalls öffentlich-rechtliche Sanktionen.
Welche Änderungen treten ab dem 26.12.2024 für Unternehmen verpflichtend ein?
Neu eingefügt in die Russland-VO ist der Art. 12ga, der immaterielle Güter miteinbezieht. Eine „No-Russia-Clause“ ist demnach auch dann erforderlich, wenn es um den Verkauf der Lizenzierung oder die anderweitige Übertragung von Rechten des geistigen Eigentums oder Geschäftsgeheimnissen geht. Gleiches gilt für die Gewährung von Zugangs- und Weiterverwendungsrechten an Material oder Informationen im Zusammenhang mit der im Anhang XL gelisteten Güter. Im Übrigen gibt es auch hier Meldepflichten bei bekanntgewordenen Verstößen. Ebenso die Verpflichtung, die Einhaltung der Vereinbarung mit angemessenen Maßnahmen zu sanktionieren.
Eine weitere Änderung betrifft die Dokumentations- und Risikobewertungspflichten im Zusammenhang mit den in Anhang XL der Russland-VO gelisteten Güter. Der neue Artikel 12gb erweitert diese Pflichten bezüglich des Verkaufes, der Lieferung, der Verbringung oder Ausfuhr der entsprechenden Güter. So sind zukünftig, die Risiken der Ausfuhr nach Russland und der Ausfuhr zur Verwendung in Russland von Gütern und Technologien des Anhangs XL zu ermitteln, zu bewerten, zu dokumentieren und stets auf dem aktuellen Stand zu halten. Dies bedeutet, dass es nicht reicht, wenn einmal eine solche Dokumentation erstellt wird. Vielmehr muss diese regelmäßig aktualisiert werden. Offen ist, um welche Schritte es sich handeln muss und wann diese im Verhältnis zur Art und Größe des Risikos stehen.
Gerne sind wir Ihnen bei einer entsprechenden Risikobewertung behilflich. Art. 12gb erhält nämlich ferner die Pflicht, dass Strategien, Kontrollen und Verfahren, die dazu geeignet sind, Risiken einer Ausfuhr nach Russland zu mindern oder zu managen, auch umgesetzt werden müssen.
In welchen sonstigen Fällen ist eine „No-Russia-Clause“ sinnvoll?
Grundsätzlich kann es auch bei dem Export von Gütern in bestimmte Drittländer ratsam sein, nach den Art. 12g, 12ga und 12gb zu verfahren. Auch wenn es Güter, Technologien, Dienstleistungen oder sonstige Handelswaren sind, die nicht unter die entsprechenden Anhänge fallen. Zu denken wäre beispielsweise an Softwareprodukte, wenn diese an Staaten geliefert werden, die noch ein freundschaftliches Verhältnis zu Russland bewahren. Gleiches gilt für Staaten, die den Handel nicht weitestgehend eingeschränkt haben oder aufgrund einer räumlichen Nähe eine hohe Gefahr einer Exportkriminalität aufweisen.
Beachten Sie: Mit Art. 8a der Russland-VO wurden nun auch für die Kontrolle der in Drittländer ansässigen Tochterunternehmen besondere Pflichten statuiert. Ebenso wurde der Pflichtenkreis aus Art. 12 der Russland-VO erweitert. Es reicht nun der sogenannte „dolus eventualis“ bezüglich eines Umgehungsgeschäfts. Dies bedeutet, dass Geschäfte bereits dann verboten sind, wenn Zweifel bestehen, ob es sich um ein Umgehungsgeschäft handelt. Es ist also ausreichend, dass man es dennoch durchführt und dabei „In-Kauf-nimmt“ bzw. „Für-möglich-hält“, dass die Waren gegebenenfalls nach Russland exportiert werden. Bei risikobehafteten Geschäften sollte daher alles unternommen werden, um Umgehungsgeschäfte möglichst auszuschließen. Die Best-Practice der Artikel 12g, 12ga und 12gb kann hier entsprechende Bemühungen untermauern. Auch, wenn sie für das konkrete Rechtsgeschäft nicht verpflichtend statuiert ist.
Sanktionen gegen Belarus – Verhaltensempfehlungen?
Der Umgang mit Belarus ist weitestgehend mit demjenigen mit Russland harmonisiert. Unternehmen müssen auch hier bei der Ausfuhr bestimmter Güter in Drittländer nach Art. 8g der Verordnung (EG)Nr. 765/2006 (im Folgenden: Belarus-VO) eine sogenannte „No-Belarus-Clause“ vereinbaren. Diese ist spiegelbildlich zur „No-Russia-Clause“ zu gestalten. Allerdings existiert für Belarus grundsätzlich keine Vorschrift bezüglich immaterieller Güter, wie sie nun durch Art. 12a der Russland-VO normiert ist. Eine Verpflichtung zur Risikoanalyse und -Dokumentation des Exports nach Belarus ist hingegen auch hier vorzunehmen. Art. 8ga der Belarus-VO gleicht hierin dem Art. 12gb der Russland-VO.
Aus Art. 12 der Russland-VO lässt sich zudem ableiten, dass die Best-Practice der Art. 12g, 12ga und 12gb der Russland-VO sowie der weiteren Normen der Verordnung auch bezüglich Belarus Sinn machen. Wenn die Gefahr besteht, dass Güter, Dienstleistungen und Know-how nach Belarus gelangen, ist der Weg nach Russland nicht mehr weit. Hier ist also Vorsicht anstatt Nachsicht geboten. Sollten die Unterschiede der Sanktionspakete gegen Russland und Belarus von wirtschaftlicher Bedeutung für Sie sein, beraten wir Sie natürlich gerne im Einzelfall.
Patricia Lotz | Rechtsanwältin
Frau Rechtsanwältin Patricia Lotz ist schwerpunktmäßig mit Gerichtsverfahren befasst. Seit über vierzehn Jahren vertritt sie vor allem Industriemandate und KMU der IT- und Technologiebranche. Sie ist daneben im privaten Baurecht, im Arbeitsrecht, im Wirtschaftsverwaltungsrecht bei Streitigkeiten u. a. mit Gewerbeämtern und im Sonderfall »Betriebsprüfung und Scheinselbstständigkeit« im Sozialrecht auf Seiten der Unternehmen tätig. Ihr vornehmstes Ziel ist es, eine gerichtliche Auseinandersetzung möglichst zu vermeiden. Ist dies jedoch nicht möglich oder sinnvoll, arbeitet sie mit den Mandanten und Mandantinnen eine passende Prozessstrategie aus, basierend auf einer langjährigen und deutschlandweiten Erfahrung vor Zivil-, Arbeits-, Verwaltungs- und Sozialgerichten. Ferner berät Frau Rechtsanwältin Lotz Sie im Arbeitnehmererfindungsrecht und im Außenwirtschaftsrecht, insbesondere beim Export von Dual-Use-Gütern.
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