Betriebsprüfung: Einsatz von KI bei der Suche nach Scheinselbstständigkeit

In der heutigen Arbeitswelt – geprägt von Homeoffice, flexiblen Arbeitszeiten und projektbasierten Aufgaben – ist es umso schwieriger, klare Grenzen zwischen Angestellten und Selbstständigen zu ziehen. Ein besonders heikles Thema in diesem Zusammenhang ist die Scheinselbstständigkeit. Bei dieser handelt es sich um eine Situation, in der ein Arbeitnehmer formal als Selbstständiger auftritt, aber tatsächlich wie ein Angestellter eingegliedert ist. Eine fehlerhafte Beurteilung kann insbesondere zu erheblichen Nachzahlungen, zu Bußgeldern und sogar zu Haft führen.
Die Deutsche Rentenversicherung (DRV) setzt nun im Rahmen der Betriebsprüfung verstärkt auf moderne Technologien, um hier schwarze Schafe zu entdecken. Ab 2025 plant die DRV, das KI-System „KIRA“ in ihren Betriebsprüfungen einzusetzen. KIRA steht dabei für: „Künstliche Intelligenz für risikoorientierte Arbeitgeberüberprüfung“. Für Arbeitgeber bedeutet dies, dass die Überprüfung der Entgeltabrechnungen und Finanzbuchhaltung nun noch genauer und effizienter durchgeführt wird.
In diesem Artikel erfahren Sie, wie die DRV ihre Betriebsprüfungen mithilfe von KI optimiert. Außerdem informieren wir darüber, welche Schritte Ihr Unternehmen jetzt ergreifen sollte, um sich auf die zukünftigen Prüfungen vorzubereiten und rechtliche Risiken zu minimieren.
Was ist Scheinselbstständigkeit
Der Begriff „Scheinselbstständiger“ beschreibt einen Arbeitnehmer, der formal als Selbstständiger auftritt, faktisch aber in einem klassischen Angestelltenverhältnis zu seinem Arbeitgeber steht. Rechtlich korrekt wäre er damit als abhängig Beschäftigter i. S. d. § 7 Abs. 1 SGB IV einzuordnen. Durch die fehlerhafte Einordnung werden insbesondere Sozialversicherungsbeiträge und Steuern, die im Angestelltenverhältnis greifen, umgangen. Bei einer Entdeckung drohen dem Arbeitgeber hohe Nachzahlungen und Bußgelder.
Die Abgrenzung zwischen der Selbständigkeit und dem Arbeitnehmerverhältnis ist nicht immer einfach. Zudem ist die Gesetzgebung in diesem Bereich oft unklar. Dies lässt Raum für Interpretationen und erschwert Unternehmen in der Praxis die korrekte Einordnung. Daher ist es für Arbeitgeber besonders wichtig, sich mit den aktuellen rechtlichen Vorgaben und der Rechtsprechung vertraut zu machen.
Betriebsprüfung der Deutsche Rentenversicherung durch KI
Die Umgehung von Sozialabgaben im Falle der Scheinselbstständigkeit verstärkt die Belastung des deutschen Sozialversicherungssystems und führt zu einer ungleichen Verteilung der Beitragszahlungen. Gemäß § 28p SGB IV hat die Deutsche Rentenversicherung Bund (DRV Bund) über ihren Betriebsprüfungsdienst den gesetzlichen Auftrag, alle vier Jahre Betriebsprüfungen durchzuführen. Im Fokus dieser Betriebsprüfung steht unter anderem die Frage, ob Arbeitgeber ihren Pflichten aus dem Sozialgesetzbuch in Bezug auf Sozialversicherungsbeiträge entsprechen nachkommen. Hierzu zählen sowohl Renten-, Pflege-, Arbeitslosen- als auch Krankenversicherungsbeiträge.

Anwendungsbereich der KI „KIRA“
Aufgrund des Fachkräftemangels und fehlenden personellen Kapazitäten erfolgt eine solche Betriebsprüfung bisher lediglich stichprobenartig. Den Mitarbeitenden steht oft nur ein Tag für die Überprüfung eines Unternehmens zu Verfügung. So werden Fälle der Scheinselbstständigkeit oft nicht entdeckt. Um dieser Problematik zu begegnen, entwickelt der DRV nun mit Unterstützung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales das KI-System KIRA. Planmäßig soll das System bereits 2025 unterstützend bei Betriebsprüfungen eingesetzt werden. Noch bevor der menschliche Prüfer des DRV mit der Prüfung beginnt, soll die KI Zugriff auf alle elektronischen Unterlagen erhalten. Den elektronischen Zugriff auf die Unterlagen ermöglicht das Programm der elektronisch unterstützten Betriebsprüfung (euBP). Die elektronische Übermittlung der Finanzbuchhaltung im Rahmen von euBP ist bis Ende 2023 freiwillig möglich, danach verpflichtend.
Die KI analysiert die elektronischen Unterlagen und sucht nach auffälligen Mustern, z.B. besonders hohe bzw. niedrige Sozialversicherungsbeiträge oder fehlende Nachweise hierzu. Im Anschluss an die Analyse generiert KIRA einen Score, der angibt, ob im vorliegenden Fall überdurchschnittlich viele Auffälligkeiten vorhanden sind. Abschließend legt sie dem menschlichen Prüfer der Betriebsprüfungsdienstes die konkreten Stellen vor, an denen sie Auffälligkeiten entdeckt hat. Das KI-System ersetzt also nicht den menschlichen Prüfer oder trifft relevante Entscheidungen, sondern arbeitete lediglich zu. Das Ziel ist vor allem den Betriebsprüfern Arbeit abzunehmen und Prüfungsschwerpunkte zu setzen. Der Fachkräftemangel, auch bei den Behörden, kann damit aufgefangen werden.
Handlungsempfehlungen und rechtliche Konsequenzen
Da die DRV plant, KIRA ab 2025 bei den Betriebsprüfungen einzusetzen, sollten Arbeitgeber zügig tätig werden. Erforderlich ist vor allem, Verträge mit Selbstständigen zu überprüfen und für die Zukunft interne Compliance-Prozesse anzupassen. Bei besonders fraglichen Konstellationen empfiehlt sich insbesondere das Anfrageverfahren nach § 7a SGB IV zur Statusfeststellung durch die Clearingstelle der Deutschen Rentenversicherung
Es gibt mehrere Schlüsselindikatoren, die helfen können, Scheinselbstständigkeit zu erkennen. Ein wichtiger Faktor ist die Weisungsgebundenheit. Eine Übersicht über die aktuelle Rechtsprechung zum Thema Scheinselbstständigkeit finden Sie in unserem Blogartikel vom 23. Juli 2024.

Liegt ein Fall der Scheinselbstständigkeit vor, können sowohl finanzielle als auch rechtliche Konsequenzen folgen. Zum einen drohen dem Unternehmen entsprechende Nachzahlungen der Sozialversicherungsbeiträge und der Lohnsteuer. Laut DRV liegen bereits jetzt jährlich Nachzahlungen im hohen dreistelligen Millionenbereich. Wird dem Arbeitgeber nachgewiesen, dass er vorsätzlich gehandelt hat, kann er auch persönlich für Steuerhinterziehung und Hinterziehung der Sozialversicherungsbeiträge haftbar gemacht werden. In diesem Fall drohen mögliche Gefängnisstrafen und gegebenenfalls eine Nachzahlung der letzten dreißig Jahre. Um solchen drastischen rechtlichen und finanziellen Folgen vorzubeugen, empfiehlt es sich, rechtzeitig rechtliche Beratung zu suchen. Wenden Sie sich hierfür gerne an unser Team von LLP Law|Patent,
Julia Steinle | Rechtsanwältin und Mediatorin
Frau Rechtsanwältin Steinle betreut bei LLP Law|Patent den Bereich individuelles und kollektives Arbeitsrecht. Sie unterstützt Sie bei der Gestaltung Ihrer Personalverträge und steht Ihnen als erfahrene Verhandlungspartnerin sowohl vor den Arbeitsgerichten als auch bei Gesprächen mit Arbeitnehmern und dem Betriebsrat zur Seite.
Ein weiterer Schwerpunkt von Frau Rechtsanwältin Steinle liegt in der nationalen und internationalen Vertragsgestaltung, insbesondere von Verträgen mit Bezug zum Technologierecht, IT-Recht und Urheberrecht. Sie verfügt über umfangreiche und langjährige Erfahrung bei der Führung von Gerichtsverfahren vor den Zivilgerichten.
Frau Rechtsanwältin Steinle ist seit Oktober 2018 Mediatorin und steht Ihnen als kompetente Ansprechpartnerin bei Streitschlichtungen zur Verfügung.