Wie Überstundenklagen abwehren?

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Trotz den medial präsenten Mahnungen zu einer funktionierenden Work-Life-Balance, kommt es bei Arbeitnehmer:innen nicht selten zur Ansammlung von Überstunden. Diese bringen nicht nur das Gleichgewicht zwischen Arbeit und Erholung, sondern auch das Gleichgewicht von Lohn und Arbeitszeit durcheinander und werden zum Grund für Streit zwischen Arbeitgeber:innen und Arbeitnehmer:innen. Hierbei geht es nicht selten vor allem um die Beweislastverteilung. Machten Arbeitnehmende bisher einen Überstundenausgleich geltend, so mussten sie darlegen und beweisen, dass Überstunden angeordnet, gebilligt, geduldet oder sie notwendig sind. Dem Bundesarbeitsgericht gehen diese Darlegungs- und Beweislastpflichten nicht weit genug. Nun müssen Arbeitnehmende darüber hinaus genau darlegen, welche Arbeit an welchen Tagen und zu welchen Zeiten über die übliche Arbeitszeit hinaus geleistet wurde (BAG, Urt. V. 16.05.2021, Az.: 5 AZR 347/11; BAG, Urt. V. 26.06.2019, Az.: 5 AZR 452/18).

Zum Urteil des Bundesarbeitsgerichts (BAG) (Urt. V. 04.05.2022, Az. 5 AZR 359/21)

In einem Streit vor dem Bundesarbeitsgericht ging es um die geleisteten 429 Überstunden eines Auslieferungsfahrers. Diese wurden zwar technisch aufgezeichnet, allerdings behauptete er, dass dabei nicht alleine die Arbeitszeit erfasst wurde.
Grundsätzlich wäre es am Fahrer, die geleisteten Überstunden nachzuweisen. Dies war ihm jedoch nicht möglich, weshalb die Aussicht auf eine erfolgreiche Klage grundsätzlich schlecht war.
Allerdings war die Rechtslage zu den Grundsätzen der Darlegungs- und Beweislast zu diesem Zeitpunkt nicht ganz eindeutig. Tatsächlich sprach das Arbeitsgericht Emden dem Auslieferungsfahrer trotz Beweisfälligkeit die Abgeltung der Überstunden zu und begründete die Entscheidung mit dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) aus Mai 2019 zur Arbeitszeiterfassung (Urt. v. 14.05.2019, Az: C-55/18). Aus dem sogenannten „Stechuhr-Urteil“ leitete das Gericht ab, dass eine Fürsorge- und Schutzpflicht zur Messung, Aufzeichnung und Kontrolle der Arbeitszeiten bei Arbeitnehmenden liege. Sollte dieser Pflicht nicht nachgegangen werden, ginge das somit zulasten des/der Arbeitgeber:in und hätte eine Beweisvereitelung zur Folge. Solch eine Interpretation des sogenannten „Stechuhr-Urteils“ konnte das Landesarbeitsgericht (LAG) Niedersachsen jedoch nicht überzeugen. Zwar habe der EuGH hinsichtlich des Arbeitsschutzrechts entschieden, jedoch nichts zu den Vergütungsfragen gesagt. Somit habe das Stechuhr-Urteil keinerlei Resultat auf die Darlegungs- und Beweislast bezüglich der Überstunden. Diese Überzeugung teilten sowohl das LAG Rheinland-Pfalz, als auch das LAG Berlin-Brandenburg in ähnlichen Fällen. (Urt. v. 19.02.2021, Az.: 8 Sa 169/20; Urt. v. 03.2021, Az.: 16 Sa 875/20). Laut des LAG Niedersachsen habe es dem Auslieferungsfahrer an hinreichender Darlegung gefehlt, die nötig gewesen wäre, um zu beweisen, dass es erforderlich gewesen sei, ohne Pausen durchzuarbeiten. Der Kläger habe keine Zeit für Pausen gehabt und deshalb durcharbeiten müssen. Die daraufhin beantragte Revision des Auslieferfahrers, wies das BAG jedoch zurück und begründete dies ebenfalls damit, dass die Grundsätze der Darlegungslast das Urteil des EuGH derzeit nicht verändern würden. Somit habe die begründete Pflicht des/der Arbeitgeber:in zur Messung der täglichen Arbeitszeit keinerlei Auswirkung auf die Grundsätze der Beweislast in Überstundenprozessen.

Aus Sicht der Arbeitgeber:innen ist diese Entscheidung eine Entlastung, da künftig nicht damit zu rechnen ist, dass Arbeitnehmende bezüglich der Darlegungslast klagen könnten. Allerdings bleibt abzuwarten, ob der Gesetzgeber hierzulande auf das Stechuhr-Urteil mit Reformen zur Arbeitszeiterfassung reagieren wird.

 

 

 

Bildnachweis: Bild von Nikola Filipová auf Pixabay

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