Was ist bei der Arbeitszeit durch den Arbeitgeber zu beachten?

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Kontrolle oder Vertrauen?

Bild von Gerd Altmann auf Pixabay

 

Wie bereits in einem unserer Beiträge erläutert, entschied der EuGH vor einiger Zeit, dass ein Arbeitgeber dazu verpflichtet sei, die Arbeitszeit seiner Arbeitnehmer lückenlos aufzuzeichnen und nicht nur die Überstunden, https://www.llp-law.de/info-channel-leser/die-neue-rechtsprechung-zur-zeiterfassung-im-arbeitsrecht.html.

Große Teile der Judikative sowie der Fachliteratur gingen bisher jedoch davon aus, dass die Richtlinie auf der das Urteil beruht, lediglich eine Handlungsempfehlung an die Mitgliedsstaaten darstelle und keine unmittelbare Rechtswirkung entfalte. Zudem wurde angenommen, die Entscheidung habe lediglich Auswirkungen auf die Beweislast nach § 138 Absatz 3 ZPO. Danach müsse der Arbeitgeber laut Bundesarbeitsgericht im Streitfall nachweisen, welche Tätigkeiten dem Arbeitnehmer zugewiesen wurden und wann diese Anweisungen nicht befolgt wurden, BAG, Urteil vom 21.12.2016 – 5 AZR 362/16.

Das Urteil des Arbeitsgerichts, Az.: 2 Ca 94/19

Am 20.02.2020 entschied das Arbeitsgericht in Emden bei einem Rechtsstreit, nun noch weiterzugehen und im Rahmen einer Darlegungs- und Beweislast die Pflicht zur nahtlosen Zeitarbeitserfassung durch den Arbeitgeber zu bejahen. Ihr Urteil stützten die Richter sowohl auf eine frühere Entscheidung des EuGH, C-55/18–CCOO als auch auf die EU Richtlinie, 2003/88/EG sowie der in § 31 Abs. 2 Grundrechte Charta erfassten Arbeitsschutz. Bei der Frage danach, ob für den Arbeitgeber nun eine branchenübergreifende Verpflichtung bestehe, die Arbeitszeiten seiner Mitarbeiter lückenlos zu dokumentieren, sollten zunächst die einzelnen Rechtsgrundlagen des Urteils sowie deren unmittelbare Rechtswirkung betrachtet werden.

 

Die EU Richtlinie 2003/88

Die Richtlinie selbst entfaltet gegenüber den Mitgliedsstaaten keine unmittelbare Wirkung. Vielmehr muss sie innerhalb eines bestimmten Zeitraums auf nationaler Ebene umgesetzt werden. Es bleibt jedoch den Mitgliedsstaaten überlassen, wie dies geschieht. Solch eine Rechtsgrundlage kann daher keine unmittelbare Verpflichtung für die Arbeitgeber begründen.

 

Die Grundrechte Charta der EU

Die Grundrechte Charta der EU entfaltet durchaus unmittelbare Wirkung auf die Auslegung des nationalen Rechts. Sie dürfen gerichtlich geltend gemacht werden. Entgegenstehende gesetzliche Regelungen finden keine Anwendung. Jedoch spricht § 31 Abs. 2 GrCH keineswegs von einer lückenlosen Zeiterfassung, sondern vom Recht des Arbeitnehmers auf Höchstarbeitszeit, sowie Pausen und einen jährlichen Urlaub.

 

Der Europäische Gerichtshof (EuGH)

Bestehen Zweifel an der Anwendung des EU-Rechts, bestimmt der EuGH gegenüber den nationalen Gerichten, wie es auszulegen sei. Daher ist es grundsätzlich zulässig, wenn sich deutsche Gerichte auf ein Urteil des EuGH berufen. Allerdings ging es bei dem Rechtsstreit vor dem Arbeitsgericht lediglich um die Frage nach der Vergütung der vom Arbeitnehmer dokumentierten, jedoch vom Arbeitgeber bestrittenen Arbeitszeit.

 

Das Urteil des EuGH, C-55/18–CCOO

Bezugnehmend auf die Richtlinie sowie auf die Grundrechte Charta, geht auch der EuGH wie bereits im vorigen Artikel ausgeführt, in seiner Entscheidung von arbeitsschutzrechtlichen Erwägungen aus. Gleichzeitig spiele es laut EuGH keine Rolle, ob bereits eine nationale Regelung zum Schutz der Arbeitnehmer vorliege. Jedes EU-Mitglied müsse vielmehr sicherstellen, dass die entsprechenden Schutzrechte des Arbeitnehmers aus der Grundrechte Charta, sowie ihrer konkreten Ausformulierung in der Richtlinie mittels eines lückenlosen Zeiterfassungssystems gewahrt werden. Allerdings überließ er die konkrete Umsetzung gemäß § 288 AEUV den Mitgliedsstaaten. Es bleibt daher die Frage, welche Auswirkungen das Arbeitsgerichtliche Urteil auf die Arbeitgeberpflichten hat.

 

Aussicht/Handlungsempfehlung

Eine branchenübergreifende Pflicht zur lückenlosen Dokumentation ist mehr als fraglich, da weder die Richtlinie noch der EuGH in seiner darauf begründeten Entscheidung von Vergütungsfragen ausgingen. Zudem existieren keinerlei konkrete Vorgaben, wie solch eine lückenlose Erfassung von Arbeitszeit auszusehen habe. Dennoch ist das zuständige Bundesministerium dabei, einen entsprechenden Gesetzesentwurf nach Vorgaben des EuGH zu entwickeln. Ein Arbeitgeber wäre daher vor allem in Zeiten von Homeoffice und Kurzarbeit gut beraten, nach Möglichkeit ein entsprechendes umfängliches Zeiterfassungssystem für die Mitarbeiter einzurichten.

 

Der Beitrag ist entstanden mit Unterstützung unseres Praktikanten Vladimir Vikhliaev

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